„Ich spreche stellvertretend für sehr viele Frauen“
Am Landestheater Coburg schreibt eine besondere Inszenierung gerade positive Schlagzeilen: „Prima Facie“ von Regisseurin Kathrin Sievers und Dramaturgin Mia Massmann nach einem Stück von Suzie Miller.
Schauspielerin Milena Weber überzeugt in einer starken Einzelrolle als zunächst sehr erfolgreiche Strafverteidigerin und wenig später als selbst betroffenes Vergewaltigungsopfer. Die Botschaft des Stückes ist so bewegend wie die Inszenierung selbst: Sexualisierte Gewalt darf nicht länger verharmlost werden. Wir sprachen mit Milena über ihre Erfahrungen bei den Proben und auf der Originalbühne Gerichtssaal.
Milena, einige Vorstellungen im Spielplan von „Prima Facie“ waren in kürzester Zeit ausverkauft. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?
Ich glaube, dass sich grundsätzlich viele für die Thematik der Rechtssprechung interessieren. Und das Spannende an dem Stück ist, dass das Publikum beide Seiten des Gerichts miterleben kann. Eine Frau, die erst als Strafverteidigerin im Gerichtssaal steht, dann aber als Opfer einer Vergewaltigung. Dieser Perspektivwechsel ist es, der den Theaterabend so interessant macht.
Präzise: Schauspielerin Milena sucht als Anwältin Tessa akribisch nach Lücken und Widersprüchen in den Aussagen der weiblichen Opfer, weil sie an die Unschuldsvermutung ihrer männlichen Mandanten glaubt.
Wie hast du dich auf die Rolle der Anwältin Tessa Ensler vorbereitet?
Ich habe mir viele verschiedene Dokumentationen angesehen. Und ich war im Landgericht und habe mir einen Prozesstag angesehen. Auch habe ich möglichst viele Eindrücke zum Stück gesammelt und viel mit der Regisseurin Kathrin Sievers über die Rolle geredet.
Was hat dich an der Rolle am meisten gereizt? Und was letztlich am meisten gefordert?
Alles mögliche! Ich finde das Stück einfach wahnsinnig gut geschrieben! Das Stück ist eine Fahrt auf einer Achterbahn. Während der Proben wurde mir aber mehr und mehr bewusst, dass ich stellvertretend für sehr viele Frauen spreche. Und dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist für mich die größte Herausforderung.
„Prima facie“ spielt nicht auf der Theaterbühne, sondern im Gerichtssaal des Coburger Landesgerichts, weswegen beim Einlass auch diese strengen Kontrollen und Ausweispflicht herrschen. Wie erlebst du diesen besonderen Ort als Schauspielerin?
Glücklicherweise sind alle im Landgericht sehr freundlich! Ich glaube, es wird mir nicht nochmal so schnell passieren, dass ich im Gericht so freundlich empfangen werde (schmunzelt). Einen Gerichtssaal als Bühne zu nutzen ist sehr aufregend. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, hinter der Richterbank stehen zu können? Aber da wir viel im Gericht proben konnten und alle so nett sind, fühle ich mich mittlerweile sehr wohl dort, das hätte ich vor ein paar Jahren auch nicht gedacht, dass ich das mal sagen werde.
Erfolgreich, so lange sie sich für Männer stark macht: Als Strafverteidigerin erwirkt Tessa zahlreiche Freisprüche für Täter, die wegen sexueller Übergriffe an Frauen angeklagt sind.
Sind im Publikum Frauen in der Überzahl?
Das kann ich bis jetzt noch nicht genau beantworten, ich hatte aber bei den ersten Vorstellungen den Eindruck, dass viele Juristen da waren.
Der Statistik nach werden in jeder Vorstellung auch einige Frauen sein, die selbst sexualisierte Gewalt in ihrem Leben erfahren mussten. Wie habt ihr dafür vorgesorgt?
Es gibt eine Triggerwarnung auf der Homepage, aber darüber hinaus liegt es natürlich an mir, die Ernsthaftigkeit der Thematik klar darzustellen. (Anm. d. Redaktion: Bei der Inszenierung wird an sechs Terminen die Fachberatungsstelle Frauennotruf Coburg vor und nach der Vorführung für Gespräche zur Verfügung stehen – weitere Infos auf der Homepage des Coburger Landestheaters).
Am Boden: Als Anwältin Tessa selbst zur Klägerin wird, erlebt sie den Gerichtssaal aus der Perspektive einer verzweifelt Betroffenen.
Welche Botschaft möchtest du und das Team mit dieser Aufführung rüberbringen?
Vor allem wollen wir Aufmerksamkeit für die Thematik schaffen. Es fällt mir schwer, die Botschaft dieses Stückes kurz zusammenzufassen, weil es so umfangreich ist. Aber wenn eine erfahrene Strafverteidigerin plötzlich selbst als Opfer einer Vergewaltigung vor Gericht steht und dann verliert, ist es klar, dass sich der Umgang mit Vergewaltigungsopfern ändern muss.
Fotos: Bastian Suffa
Milena Weber:
Milena Weber wurde 1991 in Hannover geboren. 2016 absolvierte sie ihre Schauspielausbildung an der Theaterakademie Köln. Mit der Spielzeit 2023/24 wird sie Ensemblemitglied des Landestheaters Coburg. Weitere Infos zu ihrem Lebenslauf als Schauspielerin unter www.landestheater-coburg.de
Fakten zum Stück:
Prima Facie ist ein Monolog der australisch-britischen Dramatikerin, Drehbuchautorin und Anwältin Suzie Miller, der im Jahre 2019 in Sydney uraufgeführt wurde.
Der Titel „Prima Facie“ steht dabei für den juristischen Terminus, der sich aus dem Lateinischen mit „auf den ersten Blick“ oder „dem ersten Anschein nach“ übersetzen lässt und im Deutschen als ein Synonym für „Anscheinsbeweis“ gilt.
Worum geht es genau?
Tessa Ensler hat als erfolgreiche Strafverteidigerin ein Spezialgebiet: Sie verteidigt Männer, die wegen sexueller Übergriffe angeklagt sind. Dabei erwirkt sie einen Freispruch nach dem nächsten. Akribisch sucht sie nach Lücken und Widersprüchen in den Aussagen der weiblichen Opfer, denn sie glaubt an die Rechtsordnung und die Unschuldvermutung. Tessa genießt ihr erfolgreiches Leben fernab von ihren prekären Familienverhältnissen. Als sie von ihrem Kollegen Julian vergewaltigt wird, bricht ihre Welt zusammen. Obwohl sie weiß, wie gering ihre Chancen vor Gericht sind, entscheidet sie sich für eine Anzeige. Auf einmal steht sie im Vergewaltigungsprozess auf der anderen Seite des Gerichtssaals. Dabei wird ihr klar, dass sie in einem von Männern geschaffenen System, an das sie so lange geglaubt hat, keine Gerechtigkeit erfahren kann.
Quelle: Landestheater Coburg
Der Spielplan mit den nächsten Terminen von „Prima Facie“ und weitere Infos unter www.landestheater-coburg.de
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